Autofahrer blinken vor der nächsten freiwerdenden Parklücke. Der Hintermann hupt entnervt. Vor der Einkaufswagen-Station warten die Kunden geduldig. Die Kirchenglocken der Johannes-Kirche läuten zur 12. Stunde des Tages.
Es ist der Montag vor dem Heiligen Abend. Höchste Zeit die Vorräte aufzustocken. Das Fest verlangt nach Braten, Knödeln, Marzipan. Vier Tage müssen geplant sein. Voll sind die Taschen der Kunden. Das Verstauen der Waren im Kofferraum ist eine logistische Herausforderung. Es gibt nur wenige freie Flecken auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums. Vier Quadratmeter Asphalt vor den Fahrradständer sind noch frei.
Dort bauen wir unsere provisorische Kirche auf. Zwei Windlichter über die ein schwarz-gelbes Flatterband die Abstandsregeln anzeigt. „Angebot heute“ steht in fetten Buchstaben auf dem Aufsteller. Darunter „Persönlicher Weihnachtssegen“. Die Menschen tragen Winterjacken. Die Sonne scheint, der Wind ist kalt. Trotz dem Wollpullover unter dem Talar fröstelt es mich. Kirche gehört unter die Leute. Davon bin ich überzeugt. Ob es die anderen auch so sehen?
Ich bin ein Fremdkörper in diesem geschäftigen Treiben. Ich passe nicht so recht zu der Weihnachtsdekoration des Blumenhandels. Meine Maske ähnelt einem Entenschnabel. Einen Friseurbesuch hätte ich zudem bitter nötig.
Was soll das alles hier? Es geht um Segen. Der ist schon ein vertracktes Ding. Einen Fluch kann man aufheben- einen Segen nicht. In einer Zeit, in der alles Selbstverständliche ins Wanken gerät, ist und bleibt er ein Fels in der Brandung.
„Möchten Sie vielleicht einen persönlichen Weihnachtssegen?“
Diesen Satz sage ich hunderte Male. Manche winken ab, huschen vorbei. Andere nehmen sich Zeit für eine Antwort: „Nicht jetzt, aber trotzdem – Frohe Weihnachten.“ Andere bleiben stehen, zögern und dann kommen sie näher ans Flatterband.
Sie wirken unsicher, fragend. Wir wechseln Sätze: „Was wünschen Sie sich zu Weihnachten? Wie werden sie es feiern?“ Und alles wird einfach. Der Parkplatz, die hupenden Autos, die anderen Kunden werden Hintergrundrauschen. Ich blicke in Augen. Blaue, grüne, braune, manche getrübt hinter Brillengläsern.
„Gott ist der, der mich sieht“ sagt Maria, die Mutter Jesu. Sie sagt das etwas verschwurbelt: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“
Ich bin Pfarrerin, Kirchenbeamtin. Meine Existenz ist gesichert, weil Menschen auf einen Teil ihres Einkommens monatlich verzichten. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ich ein Art „Konktaktlinse“ für diesen Blick Gottes sein muss.
Daher ist es ganz leicht auf einem Parkplatz Menschen persönlich zu segnen. Ich kann Ihnen keine Garantie geben, dass sich ihre Wünsche erfüllen werden. Aber ich kenne Worte von der Macht des Trostes, der Hoffnung, der Liebe, die sich nun mit diesem Gegenüber verweben werden. Gott ist der, der mich sieht. Einen Wimpernschlag lang. Erhobene Hände. Kreuzzeichen. Dann höre ich wieder die Reifen auf dem Asphalt.
Ich blicke in lächelnde Augen. Manche blinzeln Tränen fort. Und dann gehen sie wieder. Ich blicke ihnen nach. Bilde ich es mir vielleicht nur ein? Sehen sie gestärkter aus?
Kerstin Hanke, Pfarrerin
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