Das „Unkraut“ Hoffnung

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Er ist hartnäckig, tiefgründig und voller Überraschungen. Wer ihn in seinem Garten hat, steht vor der Wahl: Lasse ich ihn blühen oder rotte ich ihn aus – was sich allerdings als eine von vornherein verlorene Schlacht entpuppen wird? Trotz Spaten und Hacke, trotz Pflanzengift und brühendem Wasser: 

„Taraxum officinale“ – so der majestätische lateinische Name des Überlebenskünstlers – wird den Sieg davon tragen. Löwenzahn quetscht sich in Lücken zwischen Wegplatten und hält sein sonnengelbes Gesicht im schönsten Rasen in die Sonne. Lerne ihn zu lieben, lautet daher der weise Rat erfahrener Gärtnerinnen. 

Und warum auch nicht? Dieses „Unkraut“ ist durch und durch gesund. Seine bitteren Blätter sind gut für unsere Verdauung, die Blüten ergeben leckeren Sirup, die Wurzeln einen gesunden Tee. Und als Pusteblume hält er die Erinnerung an unbekümmerte Kindertage in uns wach.

Kein Wunder, dass der Löwenzahn in der christlichen Tradition verehrt wurde. Bevor die Osterglocken ihm den Rang streitig machten, war er „die“ Osterblume. Sein leuchtendes Sonnengelb stand für die unbesiegbare aufgehende Sonne Jesus Christus. Die Verwandlung der absterbenden Blütenblätter zur federigen Pusteblumenschopf erzählte anschaulich von der Auferstehung. Wie ein starker Löwe sei Christus in das Reich des Todes hinabgestiegen, beschreiben es mittelalterliche Gesänge. Die Liebe Gottes überflutet die Welt wie der fallschirmartige Pusteblumensamen. 

Seitdem blüht den Menschen die Hoffnung. Sie drängt sich in die kleinste Ritze, sie sprengt Asphalt und sprenkelt Trümmerlandschaften mit Sonnenlicht. 

Hoffnung ist keine Zierpflanze für die guten Tagen. Hoffnung ist wie ein Wildkraut, das auch ohne Dünger und Stützstäbe wuchert. In dieser Osterzeit, in der wir nicht nebeneinander singen, beten und essen werden, sind wir gezwungen andere Formen zu finden. Das ist bitter. Um so wichtiger wird es, das Gute zu entdecken und wertzuschätzen. 

Freuen wir uns an den ersten Löwenzahnblüten, die noch etwas verschämt in die Sonne blinzeln. Denn wir haben Hoffnung bitter nötig. Auch wenn Krankheiten, Krisen und Katastrophen uns die mit Gewalt aushacken wollen. Und wenn Ihre Hoffnung gerade etwas welkt, schauen Sie mal auf den Straßenrand, in den Hinterhof, auf ein Stück Brachland. Ich bin mir sicher, Sie entdecken dort einen Ostergruß.

Ein Beitrag von Pfarrerin Kerstin Hanke